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Marcin – Ein Wandel sondergleichen

Marcin Fleckenbühler privat

Vom Obdachlosen am Frankfurter Flughafen zum Schichtleiter in der Vollkornbäckerei

Marcin wurde 1980 in Danzig geboren. Er erlebt eine schöne Kindheit in der polnischen Arbeiterstadt. Das lebhafte Einzelkind liebt es, in den Straßen der polnischen Großstadt Fußball zu spielen. Mit 15 schafft Marcin den Hauptschulabschluss und beendet seine Schulzeit. Zu dieser Zeit beginnt er mit seinen Freunden mit dem Trinken und dem Rauchen. Das gefällt ihm und es bestimmt schnell seinen Alltag. Bei der folgenden Elektrikerausbildung kommen Amphetamine und Ecstasy dazu. Seine Ausbildung steht auf der Kippe, er schafft den Abschluss aber doch noch. Langfristige Anstellungen sind für Marcin leider schwer zu erreichen. Marcin beschreibt die Situation in Danzig als trist und aussichtslos. Es gibt nur schlecht bezahlte und kurzfristige Arbeit, so dass viele seiner Freunde und auch Marcin ihre Heimat verlassen. „Alle Freunde, die damals in die Welt gegangen sind, denen geht es gut!“ Er arbeitet eine Zeitlang als Arbeiter in einer Margarine-Fabrik, doch diese geht leider pleite.
Marcin entscheidet sich, mit seiner damaligen Freundin in die Niederlande zu gehen. In Eindhoven haben sie für etwa drei Jahre eine richtig gute Zeit. Sein heute 13-jähriger Sohn wird geboren. Seine Arbeit als Paketsortierer bei UPS ist nicht die allerbeste, aber Marcin ist zufrieden. In dieser Zeit kommt Marcin ohne Alkohol aus, das ändert sich schlagartig nach der Trennung von seiner Freundin. „Wenn ich allein bin, geht alles kaputt!“ Seine Freundin kehrt nach Polen zurück, für Marcin kommt das aber nicht in Frage. Er verliert seine Arbeit in Eindhoven und beginnt aus der Not mit kleinen Diebstählen, um über die Runden zu kommen. Diebstähle bestimmen nun Marcins Alltag: „Ich liebe Adrenalin, beim Klauen kriege ich Gänsehaut.” Die logische Konsequenz ist sein erster Gefängnisaufenthalt in den Niederlanden, er muss zwei Monate in Haft.
Anschließend versucht Marcin sein Glück in Deutschland. Freunde nehmen ihn 2011 mit nach Berlin und er findet einen Arbeitsplatz bei einem Getränkegroßhändler. Hier sortiert er monatelang in einer großen Halle Berge an Leergut. Die vielen ungeöffneten Bierflaschen waren willkommen und das Trinken gehörte somit weiter zum Alltag.

„So viel Bier – es war richtig übel mit dem Trinken“, sagt Marcin heute rückblickend.


Sein Leben gerät mehr und mehr aus den Fugen. Tägliche Ladendiebstähle und immer mehr Alkohol bestimmen seinen Tagesablauf. Zu dieser Zeit ist die Beziehung zu seiner Ex-Freundin gescheitert. Der Kontakt zu seinem Sohn wird immer schwieriger und weniger.
Ein großer Zufall wird Marcins nächste Lebensjahre prägen. Auf der Flucht vor der Polizei nach aufgeflogenen Diebstählen versteckt er sich auf der Ladefläche eines LKWs. Unterwegs betrinkt er sich mit Wodka und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Nachdem Marcin seinen Rausch ausgeschlafen und die Ladefläche verlassen hat, muss er sich erstmal orientieren. Der Parkplatz ist ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens und dieser zieht Marcin magisch an. Hier wird er obdachlos die nächsten Jahre verbringen und seinen Alltag bestreiten. Diese Anfangszeit auf dem Flughafengelände beschreibt Marcin als paradiesisch: Viele polnische Landsleute, viel billiger Alkohol und viele Geschäfte mit lockenden hochwertigen Waren. Er findet sich schnell zurecht, schläft auf den Sitzbänken im Flughafen und nutzt das große soziale Hilfeangebot: Kleiderstuben, Duschen, Essensausgaben. Er lebt von der Hand in den Mund, auch von vielen Ladendiebstählen, gibt er heute reumütig zu.
Nach eineinhalb Jahren muss er für zwei Jahre nach Polen ins Gefängnis.
Anschließend kehrt er direkt wieder in seine „neue Heimat“, den Frankfurter Flughafen, zurück, denn „in Frankfurt ist es einfach auf der Straße“.
Marcins steigender Alkoholkonsum beginnt seine Spuren zu hinterlassen. Er bekommt epileptische Anfälle und verletzt sich schwer dabei. Sein Leben ohne Krankenversicherung wird zunehmend schwerer. Zu dieser Zeit versucht er das erste Mal aufzuhören mit dem Trinken. Körperlicher Entzug und das Leben auf der Straße und in Obdachlosenunterkünften werden immer härter und aussichtsloser.
Eine polnische Mitarbeiterin der Diakonie-Beratung kümmert sich um Marcin, hört ihm zu und hat eine Empfehlung, die ihm zunächst merkwürdig vorkommt: Eine Gemeinschaft in Frankfurt-Niederrad, die süchtige Menschen jederzeit, auch ohne Papiere und Versicherung, aufnimmt und ihnen hilft: die Fleckenbühler.
„Das war genau das, was ich gesucht habe!“ sagt Marcin heute. Er kommt am 26. September 2016 zur Aufnahme und beginnt ein neues cleanes Leben. Regelmäßig zu schlafen, zu essen und zu arbeiten ist eine neue und wichtige Erfahrung. „Ein ganz normales Leben“, danach hat er sich gesehnt.
Nach und nach ist Marcin bei den Fleckenbühlern angekommen. Mit Hilfe von Bewohnern, besonders von Nils, hat er große Schritte beim Deutsch lernen gemacht. Jeden Tag fünf neue Wörter lernen, war seine Devise.
Zu seiner Arbeit in der Bäckerei kam er auch eher zufällig.

„Ich habe alles gelernt. Das Backen macht richtig Spaß. Das hätte ich schon früher in Polen machen können.“

Die Mitarbeiter der Fleckenbühler „Leuteverwaltung“ haben es geschafft, ihn in die gesetzliche Krankenversicherung zu bekommen.
Heute ist er über vier Jahre ohne Alkohol, Drogen und Zigaretten, es geht ihm ziemlich gut und zu seinem Sohn hat er heute wieder guten Kontakt per Internet. Leider gibt es noch eine große Unsicherheit und seine Vergangenheit droht ihn einzuholen. Wegen alter Strafvergehen lassen die polnischen Behörden ihn über Europol suchen. Es droht eine weitere zweijährige Haftstrafe. Die Fleckenbühler helfen bei den Behördenkontakten und versuchen, die Haft abzuwenden oder zu erreichen, dass er die Haft eventuell verkürzt in Deutschland ableisten kann. Anschließend würde Marcin sofort zu den Fleckenbühlern zurückkommen, sagt er.
Der Lichtblick in seinem Leben ist Anna. Sie haben sich vor zwei Jahren auf Facebook kennen und lieben gelernt. Anna kommt auch aus Polen und ist die 700 Kilometer bis Frankfurt schon öfter mit dem Bus gefahren. Durch die Corona-Pandemie haben sich die beiden nun leider schon über ein halbes Jahr nicht gesehen. Marcin ist ein Romantiker und so hatte er die Idee, seiner Geliebten einen goldenen Ring zu schicken und sich über die Grenzen und die Pandemie hinweg zu verloben. Mit dem Taschengeld von mehreren Monaten hat er das Schmuckstück gekauft und Anna per Post zugeschickt. Sie hat sich riesig gefreut, „ja“ gesagt und ihm ein schönes Armband zugeschickt.
Trotz der Nüchternheit und seiner Liebesbeziehung steckt Marcin voller Unsicherheit und Zukunftssorgen. Aber seine Geduld und Zuversicht werden ihm helfen und in eine gute Zukunft führen.

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