Zu meinem Leben gehört Fleckenbühl jeden Tag. Mit meinem Mann, dem Töpfer Berthold Zacaczki, ist es eingezogen. Er hat mich mit Fleckenbühls Regeln vertraut gemacht, und sie sind ein Maßstab, an dem sich mein Verhalten täglich messen muss. Was man beizeiten lästig finden kann, hat aber mit den Jahren meine Augen geöffnet, für Qualitäten Fleckenbühls, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen.
Mein Mann zog bei mir ein, als er nach seiner Fachschule in Höhr-Grenzhausen in der Fleckenbühler Werkstatt arbeiten wollte. Selbst war er drei Jahre zuvor aus Fleckenbühl ausgezogen, nachdem er dort die Lehre zum Scheibentöpfer abgeschlossen hatte.
Mein Wohnort lag in der Nähe und für Berthold-Josef Zavaczki begann eine Zeit, in der er zwischen Gießen und Fleckenbühl hin und her pendelte und ich mit ihm dort immer wieder zu Besuch sein durfte.
Ich lernte die anderen Töpfer kennen: Dieter Eser, Nour-Edine Rahmouni, Bogdan, Uwe und Ingrid Kaftan natürlich. Sie hatten etwas Besonderes, einen tiefgreifenden Ernst, eine andere Aufmerksamkeit.
Das erste Haus auf der rechten Seite war die Töpferei. Klein, als Arbeitsplatz für einige und ein eher etwas in die Jahre gekommenes Fachwerkhäuschen. Auf der Freifläche dahinter standen die Öfen; man konnte sie zu Recht urig nennen.
Berthold kam mit 24 Jahren nach Fleckenbühl und blieb dort siebeneinhalb Jahre, davon die längste Zeit in der Töpferei. Er kämpfte darum, dort arbeiten zu dürfen, das weiß ich nur aus seinen Erzählungen. Ingrid Kaftan habe es möglich gemacht, dass er in die Töpferei kam, sie hatte bei einem Praktikum Bertholds Talent für dieses Handwerk erkannt. Viel verdanke er auch Nour-Edine, der ihn beim Erlernen des Drehens begleitete und ihm mit seinen philosophischen Weisheiten zur Seite stand.
Ich beobachtete diese verschiedenen Töpfer auf ihrem Weg. Dieter Eser, der sich weiterentwickeln wollte, selbst fachlich als Töpfer ausgebildet wurde bis zur Eignung zum Ausbilder von Töpferlehrlingen, inzwischen ist Dieter im Qualitätsmanagement Fleckenbühls tätig. Bogdan, der Fleckenbühl verließ und wieder in seinen ursprünglichen Beruf zurückgekehrt ist. Allen gemein ist, dass die Verbindung gehalten, der Kontakt gepflegt wird.
Wenn ich an die kleine Töpferei denke, so war sie anders als andere Töpfereien, kein Ort, an dem ein einsilbiger Einsiedler seinem Handwerk nachging. Man wurde dort von neugierigen, vielleicht etwas skeptischen, Menschen begrüßt, mit dieser besonderen Aufmerksamkeit. In den zehn Jahren, in denen ich diese Werkstatt immer wieder besuchte, war von größter Beständigkeit die Veränderung.
Veränderungen des Personals wunderten mich bald nicht mehr, aber auch Konzepte, die sich mit dem Fleckenbühler Blau erst traditionell gaben, zeigten sich wandelbar. Die Töpferei wandelte sich mit den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter. Ich beobachtete Entwicklungen in Form, Farbe und Dekor, den Ausbau pädagogischer Tätigkeit, Teilnahme an Märkten und die Kooperation mit der Töpferwerkstatt in Schmerwitz. Meines Wissens nach wurde in Hessen schließlich auch der letzte Töpferlehrling in Fleckenbühl ausgebildet. Dazu wurde Berthold, der inzwischen Meister war, angestellt. Für ihn eine Gelegenheit, den Weg durch die Ausbildung zu begleiten.
Schließlich fiel es uns schwer, nach Fleckenbühl zu kommen, mit dem Wissen, dass die Töpferei einem Café/Hofladen weichen sollte. Für eine kurze Zeit wanderte die Werkstatt in ein anderes Gebäude, schien dort aber nicht mehr Fuß fassen zu können und wurde nun mit der Fleckenbühl eigenen Konsequenz aufgelöst.
Unter den Dingen, die mein Mann aus der Töpferei Fleckenbühl mitbrachte, ist ein großer Bottich mit Fleckenbühler Blau.
Es macht mich stolz, dass dieser Eimer mit feinster Glasur nun bei uns steht. Er ist für mich ein Symbol für eine Werkstatt, die nicht nur viele strahlend blau eingedeckte Tische im Marburger Raum hinterlässt, sondern Menschen geprägt hat, ihnen Raum für Entwicklung und Selbstvergewisserung gewesen ist.
Die Verbundenheit mit Fleckenbühl reicht dabei aber weit über den Austausch mit den Töpfern hinaus. Gedanken an Fleckenbühl gehen für mich zumeist mit der Frage einher, was wir von diesem klugen System zwischenmenschlichen Zusammenlebens für die Gesellschaft lernen können. Nirgendwo habe ich in überzeugenderer Weise beobachtet, dass eine Gemeinschaft jeden Tag Schritte auf Neuland tut.
Fleckenbühler Blau gibt es also immer noch, in einer Töpferei in Gießen, die niemals bestünde, wenn sie nicht den Blick auf die Fleckenbühler Töpferei und die Unterstützung der Fleckenbühler Töpfer gehabt hätte. Seine Erfahrungen in der Töpferei Fleckenbühl haben Berthold dazu befähigt, sein eigenes Keramikatelier zu eröffnen und aufzubauen. Wir wollen weiter von Fleckenbühl lernen, offen zu sein für neue Wege.
Hoffnungsvoll werden wir im Atelier Z-Keramik dem ersten Brand mit Fleckenbühler Blau entgegensehen und die Tradition der Fleckenbühler Töpferei weiter lebendig halten.
HEIDE ZAVACZKI